Deshalb möchte ich hier - gewissermaßen zur Einstimmung in den spezifischen historischen Hintergrund meiner Arbeit - eine Geschichte, genauer, ein modernes Märchen präsentieren, das, so hoffe ich, die Dynamik des psycho-historischen Kontextes, aus dem heraus ich meinen Text entwickle, einzufangen vermag. Dieses Märchen heißt:

DER JUNGE MANN UND DIE KLEINE SCHMUTZIGE STADT und ist eine Fiktion über einige Tatsachen, die tatsächlich geschehen sind.

Es war einmal ein junger Mann, der wuchs in einer Familie heran, die es durch ihre Geschäftstüchtigkeit in kurzer Zeit zu großem Wohlstand gebracht hatte. Der junge Mann aber hatte keine Lust, Geschäftsmann oder Unternehmer zu werden, sondern interessierte sich mehr für die schönen Seiten des Lebens und für Politik. So reiste er viel herum, studierte in großen Städten dieses und jenes Fach, engagierte sich in verschiedenen politischen Vereinigungen und gefiel sich darin, radikale Gedanken zu äußern. Seine Familie aber war damit gar nicht einverstanden, und vor allem der Vater machte sich große Sorgen, was wohl aus dem Sohn werden würde.
Da geschah etwas Unerwartetes. Überraschend und kurz nacheinander starben die Großeltern des jungen Mannes und hinterließen ihm allein - zum Erstaunen und Ärger der ganzen Familie - den größten Teil ihres riesigen Vermögens.
Die Großeltern aber wußten, was Sie mit dieser Entscheidung getan hatten. Denn als der junge Mann das Erbe antrat, erklärte er, daß er den größeren Teil dessen, was er unverdient erhalten hatte, nicht für sich behalten, sondern zum Wohle der Allgemeinheit einsetzen wolle.
Der junge Mann lebte aber in einer Stadt, die in ganz besonderer Weise von der Industrialisierung geprägt und dadurch sehr häßlich und schmutzig geworden war. Darüber hinaus sagte man der Stadt nach, daß sie ohne Tradition und Kultur und ihre Bevölkerung nur am Überleben interessiert sei. Und das stimmte auch. Denn die Stadt war vergleichsweise jung und wurde praktisch nur von Arbeitern und Fabrikbesitzern, also von Menschen bewohnt, die aus diesem oder jenen Grund kein Geld und keine Zeit hatten, sich mit den schönen Seiten des Lebens zu beschäftigen.
Das sah der junge Mann sehr genau und das schmerzte ihn. Denn er liebte die Stadt, in die er geboren war, und empfand dieses Vorurteil gegenüber seiner Heimat als persönlichen Makel. So entschloß er sich zum Erstaunen seiner Freunde und seiner Familie trotz seines großen Reichtums, der ihm ein gutes Leben an jedem beliebigen Ort der Welt ermöglicht hätte, in dieser kleinen, schmutzigen und kulturlosen Stadt zu bleiben und alles daran zu setzen, wie er selbst sagte, “unseren kunstverlassenen Industriebezirk für das moderne Kunstschaffen zu gewinnen”.
Allerdings hatte er nur wage Vorstellungen davon, wie ihm das gelingen könne, und so entschied er sich auf Rat einiger Freunde, nach aristokratischem Vorbild zunächst ein Museum zu gründen. Doch wußte er nicht so recht, was für Museum er eigentlich gründen solle, und daher sammelte er in verschiedenen Feldern: Naturalien wie Ethnographica, Kunstgewerbe und Bildende Kunst. Einen Zusammenhang seiner Sammlungen erhoffte sich aber von dem Museumsgebäude, das er bei dem Architekten, der seines Vaters Villa gebaut hatte, in Auftrag gab und das an einer prominenten Stelle in der Stadt errichtet wurde. weiter